"Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist es andersrum."

 

 

Alzey (neu) – 08.09.2018 – Ein breites demokratisches Bündnis hat am Samstag für Toleranz, eine demokratische und soziale Gesellschaft demonstriert. Zwei Kundgebungen mit zahlreichen Redebeiträgen (dokumentiert am Ende dieses Artikels) fanden auf dem Kronenplatz und danach auf dem Rossmarkt statt. Zu den Kundgebungen hatte der DGB Rheinhessen mit dem Bündnis Alzey gegen Rechts aufgerufen. Anlass war der erneute Aufmarsch einer regionalen Nazi-Sekte. Die paar Mann können zwar als politische Papiertiger abgehakt werden. Aber sie sind symptomatisch für ein Klima von Chauvinismus bis Hass, das sich in Teilen der Gesellschaft breit gemacht hat.

Kronenplatz (Bildauflösung verringert)

Die üblen Ausschreitungen kürzlich in Chemnitz dürften dazu beigetragen haben, dass sich eine große Anzahl von Organisationen beteiligt hatte: DGB, Cafè Asyl, Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD, Industriegewerkschaft Metall, Willkommen in Wöllstein e.V., Linksjugend ‘solid, Beirat für Migration und Integration des Landkreises Alzey-Worms, Bündnis 90/Die Grünen, Die Partei und viele nicht-organisierte NazigegnerInnen. Etwa 80 TeilnehmerInnen waren zum Kronenplatz gekommen. Der Nazi-Trupp soll aus 6-9 Personen bestanden haben.

Kronenplatz (Bildauflösung verringert)

Die Redebeiträge machten deutlich, dass die übergroße Mehrheit in der Gesellschaft reaktionäre und nazistische Dünkel ablehnt. Die RednerInnen stellten klar, dass sie in dem Bereich, in dem sie sich engagieren, die wirklichen Alternativen zu nicht selten schweren gesellschaftlichen Missständen entwickeln und fördern. Sei es in Gewerkschaften, Flüchtlingsinitiativen, Parteien, Vereinen oder auch unorganisiert.

Rossmarkt (Bildauflösung verringert)

Die Zivilgesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten auch in Rheinhessen eine starke Basis von demokratischer politischer Kultur entwickelt. Auf dieser Basis arbeiten viele Gruppen und entwickeln sie weiter. Sie sind der beste Garant dagegen, dass sich reaktionärer Dünkel weiter breit macht.

Rossmarkt (Bildauflösung verringert)

Peter Holdenried und ein Musiker-Kollege sorgten mit Gitarre und Gesang für eine passende musikalische Umrahmung der Kundgebung und erhielten viel Applaus.

Peter Holdenried und Kollege

Pfiffige Slogans

Viele TeilnehmerInnen hatten einfache Pappplakate dabei oder aufwendig gestaltete Banner, manche trugen auch T-Shirts mit Slogans. Pfiffige Slogans gegen Rechts: „Falafel, Döner und Hummus statt rechtem Nazi-Stuss!“ - „Wir haben Spaß und ihr habt nur Deutschland!“ - „#wirsindmehr“ - „#niewieder33 Wöllstein offen bunt gemeinsam gegen Rechts“ - „Kein Bock auf Nazis!“ - „Hier marschiert der rationale Widerstand“ - „Der Storch bringt die Kinder. Die Storch bringt sie um“ - „Solidarität statt Ausgrenzung“ - „Halte deine Umwelt sauber“ (Piktogramm: Hakenkreuz wird in Papierkorb geworfen)- "Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist es andersrum." - "Schoppe is' für alle da - Rheinland-Pfälzer Antifa".

 

 

Die emanzipatorischen Begriffe nicht den Rechten ausliefern!

Chauvinistische und nazistische Vereinigungen haben die Strategie entwickelt, Begriffe, Aktionsformen, Kulturelemente aus dem linken, demokratischen Spektrum hemmungslos zu klauen. Das ist ein Versuch, ursprünglich emanzipatorische Begriffe und Werte zu kapern, umzudeuten und damit zu diskreditieren. Diese Strategie muss gezielt durchkreuzt werden.

Nur zwei Beispiele:

Alternative

Ein alter griffiger Slogan lautet: „Alternative: Die Grünen“. Heute denkt man beim Begriff „Alternative“ eher an eine üble gefräßige Krake mit vielen Tentakeln nach ganz weit rechts außen. Nebenbei bemerkt: Eine durch Funk und Fernsehen bekannte Bundeskanzlerin stellt ja gerne eigene politische Positionen als „alternativlos“ dar. Alternativlos war das „Unwort des Jahres“ 2010. Die Jury sagte dazu: „Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe.“ Damit wurden Politikverdrossenheit und das Wutbürgertum verstärkt. Dass es wirkliche Alternativen gibt, das haben die TeilnehmerInnen der Kundgebungen gezeigt.

Heimat

Chauvinisten jeder Couleur führen bekanntlich auch sehr gerne den Begriff „Heimat“ im Schilde und im Munde. Daher ist mancher geneigt, Heimat als Ausdruck von dumpfem völkischem Denken misszuverstehen. Auch diese Verbindung ist möglich aber keinesfalls alternativlos. Nazis haben keinen Bezug zur Heimat. Sie haben letztlich die eigene Heimat und die Heimaten anderer vernichtet und verbrannte, blutgetränkte Erde hinterlassen.

Doch der Begriff „Heimat“ hat einen starken emanzipatorischen Impuls. Einen Impuls, der sich an die Vergangenheit erinnert, doch ausdrücklich auf die unvollkommene Gegenwart und das Arbeiten an einer besseren Zukunft gerichtet ist. Heimat – der Ort, an dem man lebt, die Menschen, mit denen man lebt, der Alltag, in dem man lebt, die Kultur, in der man lebt, die Träume, die man lebt und, und, und. Man kann „lebt“ auch gut durch „liebt“ ergänzen. Dadurch wird persönliche Identität gestiftet. Hat man einen positiven Bezug zu diesem bunten Gewebe, kann das im besten emanzipatorischen Sinne in politischem, kulturellem, sozialem und humanitärem Engagement münden. Das ist die Arbeit an der persönlichen und gesellschaftlichen konkreten Utopie.

Ernst Bloch hat das in „Prinzip Hoffnung“ eindrucksvoll auf den Punkt gebracht:

„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Schoppe is' für alle da ...

"Ja, un was hot des jetzert dodemit se due?" "Oooch, nix weider."

Das erste Alzeyer Winzerfest fand 1933 mit einem Festumzug statt,

auch auf dem Rossmarkt ...

 

„Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“

George Santayana (1863-1952)

 

Foto aus: Volker Gallé, Nationalsozialismus in Alzey. In: Heimatkalender 1983, Alzey 1983, S. 103

 

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Die Redebeiträge:

DGB (Ulrich Feuerhelm)

Deutsche Sprach‘, schwere Sprach' (Ulrich Feuerhelm)

Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (Klaus Kübler)

'solid

Beirat für Migration und Integration (Andreas Greif)

 

Willkommen in Wöllstein e.V. (Leonie Weber)

Café Asyl (Lisa Blumentrath-Eschweiler)

Bündnis 90/Die Grünen (Detlev Neumann)

 



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