CDU und SPD lassen Selzgasse stürmen

Alzey (neu) - 30.11. 2015 - Im Mai war die CDU mit ihrem Antrag im Stadtrat gescheitert, eine "amtliche Bürgerbefragung" zur Verkehrsführung am Obermarkt durchzuführen (<link gruene-im-landkreis stadtratsfraktion-alzey aus-der-ratsarbeit-2015>Link). Damals hatten sich die Koalition aus SPD und FWG, die Grünen und der Vertreter der FDP gegen diesen Antrag ausgesprochen.

Dann startete die CDU in Kooperation mit dem Verkehrsverein eine Unterschriftenliste für ein Bürgerbegehren und einen Bürgerentscheid. Ziel: Die Selzgasse sollte wieder für den Durchgangsverkehr vom Obermarkt in Richtung Hospitalstraße geöffnet werden.

Bei 70 Einzelhändlern in der Innenstadt und bei der alevitischen Gemeinde waren Unterschriftenlisten ausgelegt, wie Tobias Markert (CDU-Ratsmitglied) als einer von drei Vertrauensleuten der Initiative berichtete.

1541 gültige Unterschriften wurden bei der Stadtverwaltung eingereicht. Damit waren die Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren erfüllt.

Vertreter von SPD und FWG hatten dann die CDU angesprochen, um ein Bürgerbegehren zu vermeiden. Das könnte durch einen Beschluss erfolgen, der die Ziele des Bürgerbegehrens einvernehmlich mit der Initiative umsetzt.

Dem Stadtrat wurde dazu ein gemeinsamer Antrag von CDU und SPD vorgelegt. Die FWG hatte diesen Antrag nicht mitunterzeichnet.

Der Antrag fordert:

"1. Die Selzgasse wird als Einbahnstraße für den Verkehr in Richtung Hospitalstraße geöffnet.

2. Die Verkehrssicherheit wird durch die Einrichtung eines verkehrsberuhigten Bereichs u. durch regelmäßige Geschwindigkeitskontrollen erhöht.

3. Vor dem Kreuzungsbereich zur Spießgasse wird eine bauliche Maßnahme umgesetzt, die verkehrs- u. lärmtechnisch einem modernen und aktuellen Stand der Technik entspricht u. zu einer deutlichen Drosselung der Geschwindigkeit führt."

Nach kontroverser Diskussion gab es 17-Ja-Stimmen aus der großen Koalition, eine von der FWG und eine von der Linken; 9 Gegenstimmen von FWG, Grünen und FDP sowie 2 Enthaltungen aus SPD und FWG für den Antrag von SPD und CDU.

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Hier der Redebeitrag der GRÜNEN:


BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stadtratsfraktion Alzey
Ratssitzung am 30.11. 2015
TOP I / 2: Bürgerbegehren Selzgasse

Wir bleiben selbstverständlich bei unserer Position: "Die Selzgass' bleibt zu!".

Hinter der von der CDU beabsichtigten Öffnung für den Kfz-Verkehr steht wohl unausgesprochen das Glaubensbekenntnis "Verkehr muss fließen knüppelhageldick." Da herrschen verkehrspolitische Vorstellungen aus den 1960er Jahren.
Als gäbe es ein Grundrecht, mit dem Auto an jeden Briefkasten fahren zu dürfen, ohne Rücksicht auf andere, auf das städtische Leben, die Atemluft, die Umwelt, das Klima. Fachlich längst widerlegt; gute Alternativen reichlich entwickelt. Aber nein - in der (un-)heimlichen Hauptstadt weht und wirkt immer noch der Geist von vorgestern.
Und das zum Teil ziemlich rabiat. Wir haben es erleben dürfen: Reihenweise sind "autonome" Autofahrer in den letzten Monaten verbotenerweise vom Obermarkt durch die Fußgängerzone und die Selzgasse gefahren. Gelegentlich waren auch Vertreter des Ordnungsamtes bei Kontrollen nicht mehr sicher vor dem aufgestachelten Wutbürger. Ansonsten gab es die üblichen faulen Ausreden: "Guten Tach. Sie fahre awwer in der Fußgängerzon' ..." "Was?" "Dort owwe steht ´s Schild ..." "Des hammer net geseh ... des hammer net geseh!"
Dem satten Wohlstandsautofahrer wurde augenzwinkernd auch noch das Mäntelchen des zivilen Ungehorsams umgehängt. Grandios daneben!

Stichwort "Die Selzgass' bleibt zu!": Gerade der Kfz-Verkehr muss reguliert und in die Schranken gewiesen werden. Zum Beispiel in den durch den Schleichverkehr übermäßig stark belasteten Bereichen der Innenstadt wie in der Selzgasse.

Die CDU streut dem Publikum Sand in die Augen, wenn sie behauptet, durch die Öffnung der Selzgasse für den Autoverkehr würden CO2-Emissionen verringert. Unfug: Solche falschen Anreize führen zu noch mehr Kfz-Verkehr mit all seinen schädlichen Folgen für die Allgemeinheit. Noch mehr fußmüde aber ansonsten sehr agile Autofahrer wollen auf dem Obermarkt parken. Und wenn das Parkleitsytem noch 3 freie Parkplätze anzeigt, geben 30 Autofahrer Gummi: 3 - 2 - 1 - Meins! Wenn's doch keinen Parkplatz mehr gibt? Macht ja nix. Ab durch die Selzgasse zur nächsten Runde.
Also noch mehr Autoverkehr in der Altstadt; Abgase, Feinstaub, Lärm; Fußgänger, Alte und spielende Kinder abgedrängt. Und alle auf und die Anwohner neben der Straße bekommen das zu spüren. Wir im klimatisierten und lärmgedämmten Automobil merken das ja nicht. So kann man das auch sehen.

Die gerne verbreitete Erzählung vom gleichberechtigten Nebeneinander von Auto- und Fußverkehr ist ein Märchen. Das hat sich in der Vergangenheit längst schon gezeigt, als die enge Selzgasse noch für den Autoverkehr offen war. Fußgänger werden an den Rand gedrängt und müssen sehen, wie sie klar kommen. Verkehrsberuhigte Bereiche in der Innenstadt waren und sind in Alzey weitestgehend nur eine Illusion. Aktuelles Beispiel: die obere Antoniterstraße. „Tempo wie auf einer Rennbahn" titelte die AZ noch Ende Juli. Solche Jagdszenen nun auch wieder in der Selzgasse?
Die vorgeschlagenen baulichen Maßnahmen im Kreuzungsbereich Spießgasse/Selzgasse zur angeblichen Drosselung der Geschwindigkeit sind Augenwischerei. Die Fußgängerzone wird in diesem Bereich zerstört. Der Kfz-Verkehr wird dominieren. Der letzte kleine Vorteil, der durch den Umbau des Obermarkts entstanden ist, ist nun auch noch verspielt. Jetzt kann man endgültig sagen: Es war rausgeworfenes Geld.

Wir haben ein umfassendes Mobilitätskonzept mit einem guten Maßnahmenkatalog vorliegen. Aber, so paradox das auch klingt: Die CDU tritt beim Ausbremsen des Konzepts immer mehr aufs Gas.
Das Konzept nennt wichtige Handlungsziele: "Kfz-Verkehr (...) auf das notwendige Maß reduzieren und ggfs. verlangsamen"; "Attraktive und geschlossene Netze für den Fuß- und Radverkehr schaffen" - das sind nur zwei davon. Landauf, landab orientiert man sich an diesem Prinzip. Nicht in Alzey! Durch solche Kampagnen wie zur Selzgasse werden die in die Tonne getreten. Besonders die schwachen Verkehrsteilnehmer - Kinder und Alte - bleiben bei einer solchen fehlgeleiteten Verkehrspolitik auf der Strecke. Gegen Dogmen und Glaubenssätze kommt empirische Wissenschaft halt leider nicht an.

Heute wird - so wie es aussieht - eine Alzeyer GroKo auf die Beine gestellt. Das wird jetzt schon - und wie beim Obermarkt - als wegweisender Kompromiss gefeiert. Alla fort, Klappern gehört zum Handwerk. Aber es sind Misstöne. Die Vergangenheit hat ja schmerzhaft gezeigt: Gibt man den kleinen Finger, ist gleich die ganze Hand weg.

Warum lässt man sich auf so was ein? Sind 1400 Unterschriften für ein Bügerbegehren viel? Die Listen lagen wochenlang in vielen Geschäften aus. Das hat eher mit Ach und Krach geklappt. Es ist noch lange nicht ausgemacht, dass die Mehrheit der Alzeyer die Öffnung will. Die CDU müsste 1.) die Mehrheit erreichen und 2.) müssten mindestens 20% der Wahlberechtigten zustimmen! Das sind 2732 Stimmen. Die CDU hatte bei der Wahl 2014 umgerechnet auf volle Stimmzettel gerade mal 2148 Stimmen! Die CDU müsste ihr Ergebniss um 27% verbessern. Das ist ambitioniert. Wir hätten es auf eine Abstimmung ankommen lassen.

Übrigens hat keine andere Alzeyer Gruppe die Infrastruktur, um eine solche Unterschriftenaktion durchführen zu können. Waffengleichheit gibt's hier nicht. Ob es sinnvoll ist, sich als Verkehrsverein an einem solch polarisierenden Kulturkampf der CDU zu beteiligen, ist allerdings fraglich. Diese Allianz traf dann auf eine Koalition, die keinen Mut hat, eine tragfähige Position durchzuhalten und beim kleinsten Windhauch umfällt. So kann man keine zukunftsweisende Politik machen.

Während der Kampagne war sogar von Arroganz der Macht die Rede. Es wurde suggeriert, der Stadtrat sei nicht berechtigt, eine solche Entscheidung zu treffen. Das ist billigster Populismus, schadet der Demokratie und untergräbt die Legitimation des Stadtrats, letztlich auch die eigene. Das Ganze hat schon etwas von US-amerikanischer Tea-Party. Keinen Zentimeter wären wir zurück gewichen. Jetzt erst recht nicht!

Und bei der Selzgasse wird es nicht bleiben. Die CDU hat längst zum verkehrspolitischen Rollback geblasen; mit lauter medialer Schützenhilfe.
Was kommt nach der Selzgasse? Weg mit der Fußgängerzone? Erste, einstweilen noch zaghafte Vorstöße aus Kreisen des Einzelhandels gab es ja schon. Und dann vielleicht ein paar schicke Premiumparkplätze auf den Rossmarkt? Brauchen wir eigentlich noch Spielstraßen oder Anliegerstraßen? Weg damit! Freie Fahrt für freie Bürger.
Würden Sie da auch "Kompromisse" eingehen?

Eiertänze und Umfallen mit dreifacher Rolle rückwärts werden einem nicht gedankt. Das war beim Obermarkt so und ist auch jetzt wieder so. Wir haben die Zeitung gelesen.

Ach ja, und dann hatte ich noch eine Vision. Die geht so:

Aber jetzt wird ja alles gut:
Wenn der Obermarkt dereinst wieder ganz Parkplatz wird sein dürfen; wenn wir als freie Bürger mit unseren SUV's durch alle Altstadtgassen werden stromern dürfen, dann werden alle Leiden des Einzelhandels schwinden. Die kaufkräftigen Konsumentenmassen werden die Straßen und Parkplätze Alzeys bevölkern, die Umsätze werden explodieren und die städtischen Steuereinnahmen durch die Wolken stoßen. Die Leerstände in der Innenstadt werden der Vergangenheit angehören, Mietinteressenten werden Schlange stehen. Wahre blühende Landschaften werden wir endlich schauen. Alles wird gut ...

Tja, aber so hinterher bin ich nicht sicher, ob das eine Vision oder eine Halluzination war. Aber egal! In dem Fall halt' ich mich - ausnahmsweise!! - an ein Wort Helmut Schmidts. Er soll gesagt haben: "Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen."

Ich denk, ich geh dann moje glei mol bei de Dokder!

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